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Erzählungen

Renitenzkompetenz

Zwischen dem Hier und dem Jetzt ist immer noch Zeit für eine Coachingsitzung

Ein wunderschöner Tag. Die Blumen blühen und die Vögel singen im Park. Auf dem Weg steht eine dicke Frau mit Karen-Frisur, Karen, ein Meme aus den USA, ein Typus Frau, der immer Karen heißt, ebendiese Kurzhaarfrisur trägt und verlangt, den Manager zu sprechen, diese Frau steht in sicherer Entfernung und sieht ihrem Hund beim Scheißen auf die Wiese zu, wohl, um so tun zu können, als habe sie es nicht gesehen. Die Fontäne springt an, ich habe schon wieder keine Zeit.

Das Coaching soll ja irgendwo hinführen. Glücklich und zufrieden (im Job). Was haben Sie da für ein Bild? Naja, ich sitze in einer Altbauvilla an einem Mahagoni-Schreibtisch mit curved 4k-Monitor und Büchern, in der Ecke steht ein Lounge Chair, an der Wand ein riesiges, gut sortiertes Bücherregal und durch die bodentiefen Fenster blicke ich in den Garten mit Teich, Seerosen, Schilf, einer Weide und gelben Blumen, neben dem Brancusi eine schöne Bank, auf der die dezent modebewusst schwarzgekleideten Kolleg*innen rauchen. Wir schreiben so tiqqunartige Texte oder irgendwas, in der Küche steht Obst und ich weiß nicht was für eine Espressomaschine. Leben und Arbeiten greifen in eins, alles ein bisschen wie damals im Praktikum, nur noch luxuriöser, intellektueller und radikaler gleichzeitig.

Noch einmal listen wir Kompetenzen auf, Analyse, Logik, Intelligenz, Anspruch, Erfahrung, Ideen, Gedanken, Gefühle, Wissen, Selbstvertrauen, Perspektivwechsel, oh, und Renitenzkompetenz, weil ich ja keine EGV unterschreibe. Ich bemühe mich trotzdem, fünf Bewerbungen im Monat zu schreiben. Und woran erkennen Sie den Erfolg des Coachings? Na, ich habe einen Plan, ein Ziel, eine Struktur, aber eigentlich ist es ein Gefühl, das Gefühl, etwas wert zu sein.

Werden Sie doch technischer Redakteur. Ich denke nein, aber sage, ich sehe mir das einmal an. Oder wissenschaftlicher Mitarbeiter in Stiftungen oder an der Uni. Wie wärs mit einer neuen Dissertation? Das Problem an der neuen Dissertation wäre, dass diese ja auch kein neues Versprechen birgt, und dass das Thema einerseits fördermittelunabhängig sein sollte, ich andererseits aber ohne Geld auch keine Motivation, keinen Anlass zum Schreiben habe. Die Philosophie ist nur noch Wurst. Ich will aber Rinderfilet. Vegan, am besten. Wir wollen das Realistische ja erstmal außen vor lassen. Also gut, soviel dazu.

Das schöne Leben spielt kaum noch eine Rolle. Ich könnte auch Professor werden, denke ich plötzlich. Das ganze Leben, die ganze Zeit einer coolen Wissenschaft widmen. Saufen, Feiern, Rumvögeln hat sich schließlich aus sich selbst heraus als Lebenssinn disqualifiziert. Aber Wissenschaft ist auch kein Tagebuch, wo man einfach mal aufschreibt, was einem so einfällt. Das wäre ja eigentlich das Ideal. Mit dem, was ich jetzt tue, freiwillig, einen Haufen Geld verdienen. Ich tue ja etwas. Es zeichnet sich aus durch seine Freiheit von Sorgen um Geld und Konformität. Genial ist es deswegen noch lange nicht, aber ich arbeite daran.

Es rattert das Zahnrad der ewigen Selbstoptimierung, ich arbeite daran, ich mache einen Plan, ich halte alles fest, ich, ich, ich. Die Zähne sind schon ganz abgerieben, Sie sollten mal eine Beißschiene tragen, die Ecken und Kanten greifen kaum noch ineinander, das Rad dreht frei und bewegt gar nichts mehr. Den Deckel längst vom Topf genommen, flieht der Wasserdampf in alle Himmelsrichtungen, wenn das so weiter geht, setzt sich noch Rauch dazu und die Nudeln verwandeln sich langsam in Kohle. Was wollte ich sagen?

Mein Wasservorrat, die Gedanken, sind unendlich (und frei), aber ich koche eben auch nur mit Wasser, und mit Nudeln allein, selbst al dente gekocht, gewinnt man auch keinen Preis. Was? Eine reine Nudeldiät führt zu Mangelerscheinungen, jemand von Spiegel Online hat das letztens getestet. Aber das mit dem Wasser bezeugt doch auch ein Potenzial, Sterneköche undsoweiter. Meine Nudeln kosten 39 Cent und Gewürzregal und Kühlschrank stehen leer. Was? Nudeln mit Knoblauch oder Nudeln mit nichts (Das melancholische Mädchen). Der Philosoph.

Also ich komme jetzt nicht mehr mit. Ja, du kannst ja hier bleiben, das Buch ist jetzt sowieso zuende. Ich wollte ja nur sagen, dass es eben schwer ist. Es ist schwer, irgendetwas über Qualität zu sagen, wenn man doch nichts hat, wenn man doch keine Maßstäbe hat und nur diese Sprache, die alle anderen auch haben, aus der man dann das Wunderbare zu zaubern versucht und dann redet man doch nur von Zahnrädern und Nudeln, als würde die Welt aus nichts anderem bestehen. Und jetzt krächzen hier ein paar Vögel, die du vorher noch nie gesehen oder gehört hast, und sie flattern durch die Bäume als gäbe es kein Morgen.

Man muss ja irgendwie dranbleiben und weitermachen, dieses motivationstrainerische Gewäsch, wir kommen aus dem Kapitalismus ja nicht heraus und dann muss man sich eben einen Weg suchen, der einen selbst noch vor allen anderen, vorgezogen vor allen anderen, ans Ziel bringt, in den ständigen aktiven Umgang mit dieser ganzen Sinnlosigkeit, ins gute Leben. Und es wäre natürlich schön, schön wäre es, wenn dann irgendwann diese Aktivität auch mal zum Erfolg führte, wenn das eine Wirkung hätte, wenn irgendjemand darin etwas sieht, wenn man davon leben könnte. Du kannst ja hier bleiben und nochmal über alles nachdenken und alles scheiße finden oder den Faden verlieren oder was weiß ich, aber ich mache mich jetzt jedenfalls erstmal auf den Weg, metaphorisch gesehen, ohne Faden. Also dann.